Tag 14 Russland hat uns wieder lieb

Aufgewacht am Ostseestrand – Den Berg der Kreuze bestiegen – Russland hat uns wieder genau so lieb

Da gibt man Russland eine zweite Chance und wieder versemmeln sie es. Dabei hat der Tag so schön begonnen. Nachdem wir unter freiem Himmel am lettischen Ostseestrand geschlafen hatten, erwachten wir unter blau weißem Himmel und strahlendem Sonnenschein. Herrlich, sich noch mal im Schlafsack umzudrehen und zu dösen. Beim nächsten Augenöffnen hat sich das Wetter schlagartig verändert. Es begann zu regnen. So schnell wie an diesem morgen waren wir noch an keinem anderen Rallyetag startklar.

 

Der Regen hätte uns vielleicht ein Omen seien können. Hat er aber nicht. Zunächst machten wir uns auf dem mittlerweile autoleeren Strandparkplatz frisch (wie es die anderen Teams geschafft hatten, noch früher aufzubrechen, ist uns unerklärlich). Dann haben wir Erika auf den in Tromsø organisierten Legosteinen „aufgebockt“. Noch schnell den Ölstand kontrolliert und dann ging es auch schon los.

 

An Riga vorbei ging’s auf in Richtung Litauen, unserem Land Nummer acht. Unser Zwischenziel sollte der Hill of Crosses sein, ein Hügel auf dem Wanderer und Wallfahrer aus aller Welt viele Kreuze aufgestellt haben. Auch wir hatten ein Kreuz dabei, dass wir aus Treibholzästen vom Ostseestrand hergestellt haben. Das war zugleich unsere Tagesaufgabe, dort ein selbstgebautes Kreuz aufzustellen. Der Weg dahin verlief zügig, bund ohne weitere Zwischenfälle durch eine wunderschöne Landschaft.

 

Am Hill of Crosses angekommen dann das Malheur. Beim Versuch des Rückwärtseinparkens übersah Jörg ein anderes Fahrzeug und rammte Erika in die Fahrertür des Parkenden. So ein Sch**ß! Erika ist natürlich nichts passiert, dafür aber war die Fahrertür des Volvo V70 ziemlich matschig. Eine interessante Unfallkonstellation entwickelte sich. Wir waren in Litauen. Das Fahrzeug war ein Leihwagen und kam aus Lettland und der Fahrer aus Israel. Der auszufüllende Schadensbogen, den Laima, der super entspannte und nette Israeli, dabei hatte, war auf lettisch. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, dass es etwas komplizierter wurde. Wenigstens haben wir einen netten Menschen kennengelernt und machten zum Schluss sogar noch ein Foto als Andenken.

 

Als wir dann den Berg der Kreuze erklommen, war das schon sehr beeindruckend. Tausende von Kreuzen waren auf dem und um den Hügel aufgestellt. Große, kleine, schlichte, verzierte, Kreuze in allen vorstellbaren Varianten. Leider vergaßen wir ein Foto vor unserem Kreuz zu machen. Schaut Euch das später in den Videos an, wenn wir sie fertig haben.

 

Apropos Thema Videos. Wir filmen hier wahnsinnig viel und sammeln jede Menge Material. Und wir hätten auch gerne häufiger etwas hochgeladen und Euch gezeigt. Nur leider ist das Zusammenschneiden und Vertonen relativ zeitintensiv. Hinzu kommt, dass wir uns so gut wie nie in einem WLAN Bereich befinden und mit unserem Datenvolumen sparsam umgehen mussten. Wir werden dies aber im Nachgang der Rallye nachholen und Euch dann mit in unser Cockpit nehmen.

 

Aber zurück zu unserem gestrigen Tag. Wer dachte, eine Katastrophe für einen Tag reicht, der irrt. Denn wir fassten einen folgenschweren Entschluss. Wir wollten die Kurische Nehrung von Litauen aus überqueren. Dies bedeutete aber, dass wir durch das Oblast Kaliningrad mussten, denn auf halber Strecke wird die kurische Nehrung russisches Staatsgebiet. Dass sich diese Entscheidung im Nachhinein doch als richtig erweisen sollte, war uns nicht klar, als die Ereignisse über uns hinein brachen.

 

Die Kurische Nehrung war wunderschön. Eine enge, langgezogene Straße durch einen Kiefernwald. Rechts davon die Ostsee und links das kurische Haff. Ein traumhaftes Naturschutzgebiet. Dann, nach etwa der Hälfte der Strecke, die ersten Vorboten des nahenden Dramas. Grenzschilder. Langsam fahren. Wir kannten das ja schon. Dachten wir.

 

Doch es kam wieder einmal anders. Zunächst warteten wir rund zwei Stunden in der nicht wirklich langen Schlange. Endlich kamen wir an die Reihe. Jetzt kann man sich das so vorstellen, dass die ganze Abfertigung nach einem geordneten Verfahren abläuft. Man kann sich aber auch ein Haufen russischer Zollbeamten vorstellen, in unterschiedlichen Uniformen, die nach keinem, uns ersichtlichen Schema durcheinander laufen und den Einreisewilligen abwechselnd Kommandos erteilen. Wir wussten echt nicht was zu tun ist. Zum Glück ist ja WM und da haben sie zur Erleichterung der Kommunikation, ein paar „Dolmetscher“ den Zollbeamten zur Seite gestellt. Diese Dolmetscher sind Jungs Anfang zwanzig, die etwas mehr Englisch sprechen können als ein Siebtklässler.

 

Jedenfalls ging’s zur Passkontrolle. Und als hätten wir ein Deja-vú von unserem ersten Grenzübertritt in Raja-Joseppi. Wieder stimmte etwas mit Christians Pass nicht. Wieder wurde telefoniert. Jemand kam und verschwand mit dem Dokument. Und wieder wussten wir nicht warum. Egal, wenigstens könnten wir ja die Autokontrolle schon mal durchführen. Dachten wir. Aber nicht ohne den russischen Zollbeamten. Der brauchte noch ein Formular, dass jedem verteilt wurde, nur nicht uns. Also, um das Formular betteln, ausfüllen, auf Schönschreibung achten, mit Passport für Car (Fahrzeugschein) abgeben. Auf Stempel warten. Und dann konnte kotrolliert werden? Mitnichten. Der auf Fahrzeugkontrolle spezialisierte Grenzbeamte brauchte, na was wohl, richtig die Pässe. Christians Reisepass war aber immer noch nicht da. 3 Stunden vergangen.

 

Also wurden wir mutiger und wagten mal nachzufragen. Jörg ging zu den dolmetschenden Schuljungen. Die erklärten, dass es sich wahrscheinlich um einen Übersetzungsfehler des ausstellenden Konsulats handeln könnte. Dieser Fehler sei in letzter Zeit häufiger schon mal aufgetreten. Das wird jetzt geklärt.

Soso, Übersetzungsfehler. Aber bei was. So viel Text steht nicht drin im Visum. Es konnte sich also nur um Christians Namen handeln. Danke Putin, für soviel Bildung für Dein Volk.

 

Aber anders als an der Finnisch-Russischen Grenze konnte der Irrtum hier nicht durch einen Telefonanruf in das ausstellende Konsulat, die russische Botschaft in Berlin und den Kreml geklärt werden. Um ganz sicher zugehen, dass der Einreisende nicht die international gesuchte tschetschenische Topterroristin Kiristina Brakz ist, wurde Christian diesmal von zwei zivil gekleideten (ja, einer hatte eine Jogginghose an) Beamten irgendeines russischen Dienstes in einen Verhörraum zu einer Befragung gebeten. Ob er denn schon mal Ärger mit der Polizei gehabt hätte, was er denn beruflich mache und ob ihn Fußball interessiere. Außerdem musste er die Tastenkombination *#06# in sein Handy eingeben. Eine Nummer erschien und wurde sogleich fotografiert. Wir dachten, ab jetzt überwachen sie uns auf Schritt und Tritt.

 

Dann endlich war den Russischen Grenzern klar, Christian ist Christian. Es wurde sich sogar für die Unannehmlichkeit entschuldigt. Die Fahrzeugkontrolle fiel äußerst sporadisch aus. 3 Stunden 40 Minuten waren vergangen. Die kurische Nehrung war dunkel. Soviel zum Thema Naturschutzgebiet erkunden oder zumindest sehend durchfahren. Das einzige was wir gesehen haben waren drei Wildschweine direkt auf der Straße oder am Straßenrand. Erika hatte auch Angst in Russland. Aber wir haben immer noch keinen Roadkill (sieht man mal von dem Volvo vom Nachmittag ab), obwohl neben den Wildschweinen mit ihren Frischlingen in dieser Nacht noch zwei Hunde, zehn Katzen, ein Fuchs und ein Reh unseren Weg kreuzten.

 

Aber unser Tag sollte noch lange nicht zu Ende sein. Denn jetzt ging es auf die Suche nach einem Lager für die Nacht. Nach einer kleinen Wegstrecke trafen wir auf ein paar andere Teams. Team #110 hatte uns schon beim Grenzübertritt geholfen, weil jemand dort russisch sprach. Jetzt wollten wir gemeinsam einen Platz zum wild campen finden. Um es abzukürzen, was folgte war eine mittellange Odyssee mit vier Teams über die Kurische Nehrung bis Kaliningrad, die auf einem Parkplatz in einem Gewerbegebiet endete. Kein geiler Place! Hier wollten wir nicht bleiben.

 

Also entschlossen wir uns, alleine etwas zu finden. Wir durchquerten die Stadt Kaliningrad, fuhren ein bisschen über Land und suchten an der Ostsee einen Schlafplatz und ärgerten uns wiedermal über den Zustand russischer Straßen. Gefunden haben wir aber nichts. Ein Blick in die Karte verriet uns, die polnische Grenze ist nicht weit entfernt. „Bleiben wir in Russland oder wollen wir wieder in die EU?“, war die Frage, die sich uns nun stellte. Die Antwort war schnell gefunden. Nur schnell raus aus diesem, auch hier wieder unangenehm aufgefallenen Russland. Auf der anderen Grenzseite, im Ort Frombork sollte es einen Zeltplatz geben. Da wollten wir hin.

 

Wir dachten, die lassen uns schnell raus. Besonders um diese Zeit. Wir hatten mittlerweile 2 Uhr. (Es war deswegen noch so früh, weil uns beim Grenzübertritt nach Kaliningrad eine Stunde Zeitumstellung geschenkt wurde.) Und diesmal hatten wir richtig gedacht. Grenzkontrolle entspannt. Keine 30 Minuten später waren wir im Transitland zwischen Russland und Polen.

 

Wir dachten aber auch, die Einreise in die EU geht ganz schnell. Da haben wir aber auch noch nicht die polnischen Grenzbeamten gekannt. Ein jüngerer Grenzer fühlte sich gleich ein wenig pikiert, weil wir wohl in der falschen Spur standen. Er schaute grob in Erikas Inneres und fragte, wie viel Alkohol und Zigaretten wir wohl dabei hätten. Wahrheitsgemäß präsentierten wir ihm unseren Restbestand an Kippen. Sechs Russische Schachteln und zwei Deutsche hatten wir noch. Das dass ein Problem sein könnte, daran haben wir nicht gedacht. Auf dem Landweg dürfen lediglich 40 Nicht-EU-Zigaretten nach Polen eingeführt werden. Wir hatten also jeweils 20 zu viel. Anfangsverdacht gegeben. Also wurden wir intensiver befragt. Alkohol. Ja, Beer from Latvia and Spirit from Germany. Der Zöllner wurde immer verwirrter. Wie viel Liter Benzin wir denn dabei hätten? Christian holte die leeren Reservekanister aus dem Kofferraum. Nichts. Und wie viel Liter denn im Tank wären? Hm... Wir hatten in Russland noch mal vollgetankt. Aber Geistesblitz von Jörg: Nichts. Schauen sie unsere Tankanzeige an. Komplett leer. Wir müssen unbedingt tanken. Ha. Alles hat seinen Sinn auch wenn sich der nicht immer sofort erkennen lässt. Den Sinn Erikas defekter Tankanzeige haben wir in diesem Moment erkannt. Nichts desto trotz gab es ja dennoch den Anfangsverdacht wegen des Zigarettenschmuggelns. So wurden wir zu einer second control, einer weiteren Kontrolle in einer extra dafür eingerichteten Halle gebeten.

 

Hier lag schon alles bereit. Werkzeug, Akkuschrauber und vier Zöllner erwarteten uns, bereit unsere Erika komplett auseinander zu nehmen. Allerdings wirkten sie ein wenig verwirrt, als sie mitbekamen, dass es sich lediglich um den Schmuggel von zwei Russischen Schachteln handeln sollte, die wir zudem ja auch noch angegeben haben. Noch weniger begeisterter waren sie, als sie Erikas Inneres gesehen haben. Von unserer Ordnung im Fahrzeug war relativ wenig übrig geblieben. Statt dessen Chaos. In diesem sollten sie nun nach Schmuggelware suchen? Man diskutierte und beratschlagte sich. Eine Zöllnerin war unsere Ansprechpartnerin. In gutem Deutsch erklärte sie uns die Lage und den Stand der Beratung. Sporadisch sollten wir mal eine Tasche öffnen. Dann eine Charmeoffensive von Jörg. Mit liebster Unschuldsmine unterbreitete er der Zöllnerin einen Vorschlag. Da wir sowieso unser Auto hätten mal wieder aufräumen müssen, könnten wir das doch auch gleich hier tun. Bei der Gelegenheit könnten sie alles untersuchen, was wir ausräumen und hätten dann sogar die Gelegenheit die leere Erika zu inspizieren. Das zog. In den gestrengen Blick der hübschen Zöllnerin huschte kurz der Anflug eines Lächelns, bevor sie ihren Kollegen den Vorschlag übersetzte. Nach einer abschließenden Beratung sprach sie dann die erlösenden Worte: OK, sie können weiterfahren.

 

Was für eine Odyssee lag hinter uns. Insgesamt 6 Stunden in irgendwelchen Grenzkontrollen. Es wurde schon wieder hell. Der Zeltplatz bei Fromborg war natürlich nichts. Entweder gab es ihn nicht oder wir haben ihn nicht gefunden. War aber auch egal. Am Ende wurde es vier Uhr in der Frühe, als wir feststellten, wieder einmal alles richtig gemacht zu haben. Wir waren in der EU und haben einen geilen Place gefunden. Am Rande eines Kornfeldes. Wie früher in der Werbung vom Caro-Kaffee. Die Sonne ging auf und wir genossen das Ende dieses anstrengenden 14ten Rallye Tages.